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Berlin bleibt sexy – und schläft nie

Berlin bleibt sexy – und schläft nie

  • Autorin:
    Sepideh Honarbacht

  • Fotos: diverse

Aktionskünstler Rirkrit Tiravanija beschreibt mit einer Installation für Studio Berlin im Berghain unseren verwirrten Zustand in vier Worten: “Morgen ist die Frage”. Foto: Sepideh Honarbacht

Aktionskünstler Rirkrit Tiravanija beschreibt mit einer Installation für Studio Berlin im Berghain unseren verwirrten Zustand in vier Worten: “Morgen ist die Frage”. Foto: Sepideh Honarbacht

Ein Ausflug in die Kunst- und Kulturszene der Stadt im September 2020 zeigt, warum Berlin immer noch DER inspirierende Ort in Europa ist. Plus: Fünf Ausstellungen, die ihr in den nächsten Wochen in der deutschen Hauptstadt noch besuchen solltet.

Ich bin in Düsseldorf geboren und aufgewachsen – größtenteils. Seit mehr als 13 Jahren lebe ich sowohl in meiner Heimatstadt, von vielen liebevoll das Dorf genannt, als auch in Berlin, meinem Sehnsuchtsort. Ich mache das der Arbeit und der Liebe wegen. Liebe bezieht sich dabei nicht nur auf die Menschen, denen ich nah sein will, sondern auch auf die Stadt – Berlin. Ich brauche sie, sehne mich nach ihr, möchte nicht ohne sie sein.

Warum? Weil sie mich inspiriert wie kein anderer Ort auf der Welt. Jeden Tag kann ich mir in Museen und Galerien Kunst ansehen, in eines der phänomenalen Theater gehen, Musik, Tanz, Konzerte an ungewöhnlichen Orten genießen – in Kirchen, ehemaligen Funkhäusern, Fernheizwerken oder Krematorien (ich mag es manchmal morbid). In dieser Stadt passiert immer etwas; die Menschen sind frei, frech, rebellisch.

Das gilt sowohl im guten Sinne: spontane Demonstration im Februar 2020 vor der Zentrale der FDP, die ihren Mann, Thomas Kemmerich, mit den Stimmen der AfD zum Thüringer Ministerpräsidenten wählen ließen. Als auch im schlechten: Anti-Corona Demonstrationen, Partys ohne Hygienekonzept in der Hasenheide. So ist Berlin. Widersprüchlich.

Klaus Wowereit, ehemaliger Bürgermeister von Berlin, sagte über seine Stadt, sie sei arm, aber sexy. Arm hieß für viele Kreative auch günstig. Diese hat es in den vergangenen Jahrzehnten aus aller Welt in die deutsche Hauptstadt gezogen – heute leben und arbeiten gut 6.000 Künstler in Berlin. Obwohl auch hier Mieten und Lebenshaltungskosten steigen, ist Berlin im Vergleich zu London, Paris und New York immer noch billig. Dennoch bedroht die Pandemie und der wirtschaftliche Abschwung viele Existenzen. Galerien blieben über Monate geschlossen, Ausstellungen wurden abgesagt, internationale Messen fanden nicht statt, Musiker und Schauspieler konnten nicht auftreten.

Vor kurzem las ich in Beiträgen aus Übersee, Berlin leide unter einer rätselhaften Krankheit. Eine Journalistin hat dafür sogar einen Namen gefunden: „Berlin fatigue“. Da kann ich nur sagen: Weit gefehlt! Das kreative Herz dieser Stadt hört nie auf zu wummern! Selbst Corona hat die Kreativszene nicht lähmen können. Künstler, Kulturschaffende und Investoren haben neue, ungewöhnliche Netzwerke und Kooperationen gebildet.

Dazu zählt „Studio Berlin“ – vom Sammlerpaar Boros und dem Berghain ins Leben gerufen. Im vielleicht besten Club der Welt kann man jetzt zwar nicht tanzen oder sich im Dark Room vergnügen, dafür aber zunächst bis Ende 2020 Kunst sehen: Mehr als 100 zeitgenössische Werke von Berliner Künstlern. Finanziert wurde das Ganze von der Senatsverwaltung für Kultur (250.000 Euro) und dem Ehepaar Boros (noch einmal 250.000 Euro).

Es gibt die Kritik, dass die öffentlichen Gelder ohne Ausschreibung, transparente Kriterien und Jury an die Boros Foundation und das Berghain geflossen seien. Ich finde, das Geld ist gut investiert. Die Bilder von der Fassade des Clubs sind seit Wochen in den nationalen und internationalen Medien zu sehen: Sie zeigen die Installation des Aktionskünstlers Rirkrit Tiravanija „Morgen ist die Frage“. Ein starkes Statement, das unseren verwirrten Zustand mit vier Worten beschreibt – und zwar für die ganze Welt.

Berlin ist nicht müde: Es ist hellwach. Und jeder, der daran nur den leisesten Zweifel hegt, konnte das auf der Berlin Art Week Mitte September spüren. Wiederum in Übersee beneiden uns viele um die lebensfrohe und erfindungsreiche Kunst- und Kulturszene der Stadt. Mich wundert nicht, dass sich der New Kritiker Jerry Saltz fragt, ob er nach Berlin ziehen solle, falls Trump die Wahl gewinnt. Auch wir in Europa hoffen, dass Saltz‘ Albtraum nicht wahr wird. Niemand sollte aus politischen Gründen seine Heimat verlassen müssen. Schöner wäre es, Saltz könnte sich frei entscheiden und – wenn es die Reisebeschränkungen zulassen – in den nächsten Wochen Berlins kreatives Wummern selbst erleben.  

Studio Berlin/Berghain; LOVE © Dirk Bell; Foto: Noshe

Studio Berlin/Berghain; LOVE © Dirk Bell; Foto: Noshe

  1. Kunst im Club: Studio Berlin im Berghain

Früher bin ich mit meinem Freund Roger ins Berghain gegangen. Die strengste Tür der Welt öffnete sich für uns immer. Roger kannte den Türsteher. Drinnen war Dunkelheit, Nebel und vor allem die beste elektronische Musik der Stadt. Es gab Ecken, die ich gemieden habe: die nach ein paar Stunden nicht mehr so einladenden Toiletten und den Dark Room. Selbst diese Orte können sich neugierige Besucher derzeit anschauen. Vorher müssen sie aber ein Zeitfenster buchen und an der Tür genauso anstehen. Fotografieren darf man allerdings immer noch nicht, Handykameras klebt der Mann am Empfang ab. 

Als es hieß, das Berghain mache wieder auf und zeige Kunst, wollte ich unbedingt hin. Werke von Monica Bonvicini, Olafur Eliasson, Elmgreen & Dragset, Katharina Grosse, Carsten Nicolai, Alicja Kwade, Rosemarie Trockel seien zum Beispiel zu sehen. Mit zwei Freunden meldete ich mich gleich für eine Führung an. Leider waren wir vollständig dem Geschmack des Guides ausgeliefert. Am ausführlichsten erzählte er uns von der in der Tat beeindruckenden, im Raum schwebenden Boje in der „Säule“ des Berghain. Die Installation des Künstlers Julius von Bismarck ist an Drahtseilen befestigt und ahmt die Bewegungen einer Boje im Atlantik nach. Wir schauten sie aus allen erdenklichen Perspektiven an.

Das Herz unseres Guides schlug unüberhörbar links, was ich grundsätzlich sympathisch finde. Aber von all den Werken, die mich interessiert hätten, bekam ich nur zwei Exponate aus der Nähe zu sehen. Darunter Alicja Kwades „Selbstporträt“, verteilt auf kleine Phiolen, die Elemente des menschlichen Körpers wie Eisen und Phosphor enthalten, und einen auf einem Baum aus Bronze lauernden Geier von Elmgreen & Dragset. Ansonsten gab es für uns jede Menge Kapitalismuskritik und eine Auswahl an Werken, bei denen ich mich fragte: „Ist das Kunst, oder kann das weg?“ Ich schlich mich hier und da unerlaubt aus der Gruppe und habe dabei tolle Arbeiten entdeckt. Zum Beispiel von Shirin Sabahi und Leila Hekmat, die ich vorher nicht kannte.

Nach anderthalb Stunden war die Führung vorbei und wir traten hinaus ins spätsommerliche Abendlicht. Ich fragte mich: Was wird aus dem Berghain? Bleibt der Ort weiterhin geheimnisvoll und vom Mythos getragen, jetzt da alle alles sehen konnten? 

Take-away für Innovatoren:
Verbinde die Gegensätze!

Mehr Informationen unter
https://www.studio.berlin
Besuche nur nach Voranmeldung, November-Termine werden demnächst freigeschaltet.

Messe in St. Agnes; Motiv mit freundlicher Genehmigung von Galerie König, Ausstellungsansicht Juni 2020; Foto: Trevor Lloyd

Messe in St. Agnes; Motiv mit freundlicher Genehmigung von Galerie König, Ausstellungsansicht Juni 2020; Foto: Trevor Lloyd

2. Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt: König Galerie in St. Agnes

Weil die meisten internationalen Kunstmessen physisch ausfielen und nur noch digitale Rundgänge angeboten wurden, lud König im September zum zweiten Mal in diesem Jahr zur „Messe in St. Agnes“. In seiner Galerie, einer ehemaligen Kirche in Kreuzberg, präsentierte der 39-Jährige Werke, die Künstler, private Sammler oder auch andere Galerien bei ihm zum Verkauf anboten.

Vor St. Agnes stand ein Unmenge von Menschen an. In zwei Schlangen: eine für diejenigen, die bereits ein Ticket gekauft hatten und auf der Gästelisten standen, und eine für Spontanbesucher, die in die Solo-Ausstellung von Friedrich Kunath konnten. Mich hat gewundert, wie viele junge Menschen unter den Pilgern waren – als wäre die Galerie das neue Berghain. Was zog sie gerade hierhin, an diesen Ort?

Ich stellte mir vor, wie sie aus ihren digitalen Wirkungsstätten herausgetreten waren, hungrig  auf wahres Erleben, auf physische Kunst. Oder auch auf Inspiration. Die sich irgendwann in eigenen Werken, Websites, Blogs, Instagram-Storys wiederfinden würde. Ich stellte mir auch vor, dass sich manche von ihnen ein günstiges Gemälde oder eine kleine Skulptur würden leisten können. Wenn sie schon nicht verreisen: Warum nicht in Kunst investieren?

Das würde ich auch gern tun und finde es gut, dass in den heiligen Hallen die Preise neben den Arbeiten standen. Ich fing an, mir eine Liste zu machen von Werken, die ich gern besitzen würde – mir aber sicher nicht werde leisten können. Für meine imaginäre Sammlung wählte ich bei diesem Besuch Arbeiten von Alicja Kwade, Rinus van de Velde, Cornelia Schleime, Zbigniew Rogalski, Wade Guyton und Friedrich Kunath.  

Johann König lief derweil wie üblich bebrillt, mit wirrem Haar und lässig gekleidet durch die Gänge und begrüßte die zahlungskräftigeren Kunden. Artnet News und Morgan Stanley haben ihn kürzlich in ihrem Intelligence Report zu einem von weltweit 51 Innovatoren des Kunstmarktes gekürt. Und tatsächlich gehen dem Galeristen die Ideen nicht aus. Immer wieder experimentiert er mit neuen Ausstellungsformaten.

Seit Ausbruch der Pandemie finden seine 10AM Series live auf Instagram statt. In diesen unterhält er sich mit internationalen Künstlern und lässt sie ihre Arbeiten und Ateliers vorstellen. Während der Messe in St. Agnes organisierte er gemeinsam mit Therme Art, so etwas wie ein interdisziplinärer Think Tank der Therme Group, im Innenhof der Kirche Diskussionsrunden mit programmatischen Titeln wie Creating in Crisis, Art is Healing oder Berlin, Where Are We Now? Jedenfalls waren an diesen Tagen viele kreative Köpfe der Stadt in St. Agnes anzutreffen. Sie basteln weiter an der Zukunft. 

Take-away für Innovatoren:
Wähle das Abenteuer!

For more information go to
www.koeniggalerie.com
Friedrich Kunath wird bis zum 18. Oktober 2020 zu sehen sein.

 

Links: Nicola Samorì, Vincent, Fresko (400x200 cm); rechts: Nicola Samorì, Longino, Öl auf Trani-Stein und Onyx; beide Motive mit freundlicher Genehmigung von Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin; Fotos: Rolando Paolo Guerzoni

3. Die Schönheit des Makels: Nicola Samorì in der Galerie EIGEN +ART

Gerd Harry Lybke hat unbestritten ein Gefühl für Zeitgeist und Künstler, die das Potenzial haben, Kult zu werden. Er hat Neo Rauch, Tim Eitel und andere Vertreter der „Neuen Leipziger Schule“ in die Salons von Sammlern auf der ganzen Welt eingeführt. Seine Galerie EIGEN + ART zeigt eine Solo-Ausstellung von Nicola Samorì. „In abisso“ heißt sie und zog mich tatsächlich für die Dauer meines Besuchs in den Abgrund.

Die ohnehin düsteren Arbeiten des Malers und Bildhauers aus Norditalien spiegeln unsere Zeit wider. Dabei waren die ikonenhaften Gemälde schon vor Ausbruch der Pandemie im Februar fertig – und lange bevor die für Mai geplante Ausstellung in Berlin abgesagt werden musste. Aus aktueller Sicht wirken sie wie eine düstere Vorahnung. 

Die Werke erzählen von Verletzung, Schmerz und Tod und berühren mich unmittelbar. Während ich aus dem Eingangsbereich in den Galerieraum hinabstieg, fiel mir als erstes „Vincent“, auf. Als ich mich dem vier Meter hohen und zwei Meter breiten Fresko ganz am Ende des Raums nähere, denke ich an einen Gepeinigten, dem förmlich der Kopf explodiert vor lauter wirren Gedanken, und an den musikalischen Apokalyptiker James Blake. Dieser hat vor ein paar Jahren einen Song von Don McLean aufgenommen, der ebenfalls den Titel Vincent trägt und damit van Gogh meint:

For they could not love you
But still your love was true
And when no hope was left in sight
On that starry, starry night
You took your life, as lovers often do
But I could have told you, Vincent
This world was never meant for one
As beautiful as you

Das Besondere an Samorìs Gemälden: Er malt auf Stein und komponiert seine Figuren um die natürlichen Fehlstellen in den Materialien wie Aushöhlungen, Geoden, Aggregate herum. Christian Ehrentraut von der Galerie EIGEN + ART arbeitet seit zehn Jahren mit Samorì. Er sagt: „Nicola ist oft in den Steinbrüchen von Carrara unterwegs, da, woher auch Michelangelo seinen Marmor bezog. Er interessiert sich für den fehlerhaften Ausschuss, also das, was andere wegwerfen würden.“

So klafft in einer Seite des Torso „Longino“, der in Öl auf Trani-Stein und Onyx entstanden ist, eine dreidimensionale Wunde. Sie sieht feucht aus, ich wollte sie anfassen. Bei diesem Bild war ich schwer in Versuchung, aber es war verkauft – puh!!! – wie alle anderen in der Ausstellung. Samorì habe in Berlin eine Fanbase, so Ehrentraut. „In abisso“ ist bereits die dritte Einzelausstellung, die nächste ist für September 2022 geplant. In diesem Jahr werden seine Arbeiten noch zusammen mit denen von Caravaggio und Alberto Burri im MART in Rovereto und in einer Einzelausstellung im Palazzo Fava in Bologna gezeigt. 

Take-Away for Innovators:
Zelebriere die Fehler!

Mehr Informationen unter
http://www.eigen-art.com
Nicola Samorì wird bis zum 31. Oktober 2020 zu sehen sein.


Links: Andreas Gursky, Rhein III; rechts: Andreas Gursky, Cruise Detail, Ausstellungsansichten in der Galerie Sprüth Magers; Fotos: Sepideh Honarbacht

4. Genau hingeschaut: Andreas Gursky bei Sprüth Magers

Andreas Gursky lebt und arbeitet in Düsseldorf. Und der Rhein, dieser Fluss, den ich liebe, beschäftigt auch ihn immer wieder. Mit seiner monumentalen Fotografie „Rhein III“, aktuell in einer Solo-Ausstellung in der Galerie Sprüth Magers zu sehen, widmet sich der Künstler nach 20 Jahren erneut einem seiner wichtigsten Motive – und macht den Klimawandel sichtbar. Im Vergleich zu seiner Aufnahme aus dem Jahr 1999 führt der Fluss weniger Wasser, die Gräser sind trocken von der Dürre des Sommers.

An Gursky mag ich, dass er mit einem kühl distanzierten Blick auf die gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit schaut. Detailreich zeigt er vermeintlich simpel und undramatisch, was ist. Und löst in mir ganze Gedankenlawinen aus. Wie leben wir? Was machen wir mit unserer Umwelt? Und umgekehrt – welchen Einfluss haben die Orte, an denen wir leben, auf uns?

Die Fotografie „Kreuzfahrt“ zum Beispiel ist aus diesem Jahr und wirkt auf mich, angesichts der Ausbrüche von COVID-19 auf den Feriendampfern, doppelt trostlos. Gursky zeigt kein ausgelassenes Leben in einer schwimmenden Stadt, sondern Leere und Spuren von Konstruktionsarbeiten. Ich habe noch nie verstanden, warum Menschen auf diesen seelenlosen, furchteinflößenden Kolossen ihren Urlaub verbringen – ohne Rücksicht auf Ökosysteme und historische Städte. Heute finde ich diese Art des Reisens und Feierns überflüssiger denn je.

Ungewohnt surrealistisch wirkt Politik II, ein „konstruiertes“ Motiv mit dreizehn Politikern in einer Komposition, die an das Abendmahl erinnert. Im Hintergrund eine überdimensionale Uhr von Ed Ruscha. Sie suggeriert: Es ist höchste Zeit zu handeln.

Take-away für Innovatoren:
Achte auf die Details!

For more information go to
https://spruethmagers.com
Andreas Gursky wird bis zum 1. November 2020 zu sehen sein.

BAW2020_Julia_Stoschek_Jeremy_Shaw_Liminals_2017.jpg

Jeremy Shaw, Liminals, 2017, 16-mm-Film und HD-video, übertragen in Video, 31′25″, Videostill; mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und der Galerie König, Berlin

5. Archivmaterial wird zu Future Fake News: Jeremy Shaw in der Julia Stoscheck Collection 

Die Düsseldorfer Kunstsammlerin Julia Stoscheck hat zwar angekündigt, Ende 2022 den Berliner Standort aufzugeben, weil sie sich von der Stadt nicht ausreichend unterstützt fühlt. Vorerst aber zeigt sie im ehemaligen Tschechischen Kulturzentrum auf der Leipziger Straße noch spannende Medienkunst. 

Mit meinen Freunden meldete ich mich auch hier für eine Führung an. Derzeit zu sehen sind Arbeiten von Meriem Bennani (ich kann mit ihrer Ästhetik und Erzählweise nichts anfangen) und Jeremy Shaw. An des Letzteren „Quantification Trilogy“ erinnere ich mich jedes Mal, wenn ich Trump und seine Jünger in den Medien sehe. Shaws Reihe besteht aus drei fiktionalen Kurzfilmen, in denen er teilweise Schwarz-weiß-Material aus Archiven des 20. Jahrhunderts zu einer Dystopie zusammengeschnitten hat. 

Shaw schaut wahlweise 40, 100 und 500 Jahre in die Zukunft. Einfach erzählt geht die Geschichte so: Menschen wird Maschinen-DNA injiziert, sie werden von Generation zu Generation rationaler, verlieren ihre Fähigkeit zum Glauben, erlangen aber Unsterblichkeit. Dennoch sehnt sich eine kleine subversive Gruppe mit einer Art Gen-Defekt nach Spiritualität und versucht diese durch allerlei Praktiken wie Kundalini Yoga, Headbanging oder ekstatischem Beten wiederzuerlangen. 

Die Filme des Kanadiers Shaw, der in Berlin lebt und arbeitet, wirken dokumentarisch-journalistisch und spielen mit der Wahrnehmung. Am Ende der Vorführung war ich fast bereit zu glauben, dass die Menschheit sich genau so und nicht anders entwickeln würde. Schreckliche Vorstellung. Ich würde auf jeden Fall zu der Gruppe mit dem Gen-Defekt gehören, die sich Emotion und Ekstase zurückholen will. 

Take-away für Innovatoren:
Mistraue den Narrativen!

Mehr Informationen unter
https://www.jsc.art
Jeremy Shaw wird bis zum 29. November 2020 zu sehen sein.

Die Kunst zu überleben

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Bücher, die bleiben

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