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Im Club der Teufelinnen

Im Club der Teufelinnen

Moritz Gottwald, Jule Böwe
  • Autor:
    Sepideh Honarbacht

  • Fotos:
    Schaubühne, Arno Leclair; auf dem Titelmotiv zu sehen: Moritz Gottwald, Jule Böwe in status quo 

Oder was man in einem Theaterworkshop über Rollentausch für die Entwicklung von Personae lernen kann

Letztes Wochenende habe ich das erste Mal an einem „theaterpädagogischen Workshop“ mit Philipp Rost teilgenommen, an der Schaubühne in Berlin. Der Ausdruck Pädagogik schreckt mich eigentlich eher ab: Ich bin schwer erziehbar und hatte schon immer ein Problem mit Autoritäten. Und auch mein schauspielerisches Talent geht gegen Null, wie mir meine Freunde regelmäßig bestätigen. Aber ich liebe gutes Theater und das Thema war spannend: Es ging um das Stück „status quo“ von Maja Zade in der Regie von Marius von Mayenburg.  „Status quo zeigt eine spiegelverkehrte Welt. Das Objekt der Begierde und Diskriminierung – im Beruflichen wie im Häuslichen – ist der Mann“, hieß es im Rundbrief. Und, ganz wichtig für mich:  „Vorkenntnisse oder theaterpraktische Erfahrungen sind nicht erforderlich.“ Also warum nicht, mal was Neues ausprobieren? Hier meine Erkenntnisse:

1. Stereotypen haben wir wahnsinnig schnell zur Hand

In einer Übung sollte jeder für sich zunächst (stereo-)typische Berufe für Männer und Frauen aufschreiben, sie sich dann an (stereo-)typischen Orten vorstellen und für sie (stereo-)typische Verhaltensweisen ersinnen. Im nächsten Schritt haben wir in kleinen Gruppen entschieden, welche Szenen wir gemeinsam spielen wollen. Meine Gruppe entschied sich für folgendes Setting: Erfolgreicher Investment-Banker Jan Huber wird von einer jungen Mitarbeiterin auf einen Fehler im Algorithmus seines Fonds aufmerksam gemacht. Er nimmt den Hinweis nicht ernst, findet die junge Frau anmaßend, kanzelt sie ab, ja, demütigt sie. 

Das Besondere ist nun, dass wir diesen männlichen Stereotypen spiegeln: Bei uns ist es eine Investment-BankerIn, die ihren Mitarbeiter rund macht. Und gleich fühlt sich die Situation anders an, wir nehmen sie anders wahr als einen Mann in der gleichen Position mit gleicher Attitüde.  

Takeway für Kreativkonzepte: Personae oder Profile zu entwickeln, gehört auch zu unserem Alltag – etwa bei der Konzeption von Unternehmensmedien und Veranstaltungsformaten. Kunden überspringen diesen Part gern. Sie wissen nämlich schon ganz genau, wie der Investmentbanker sein soll. Er ist 45 Jahre alt, hat ein ansehnliches Haushaltsnetto-Einkommen, eine Frau und zwei niedliche Kinder, sieben und vier. Und er sieht aus wie George Clooney. Soweit das Klischee. Doch schon die einfache Übung im Theaterworkshop zeigt: Es ist wichtig, tiefer einzutauchen. Und es macht einen Unterschied, ob die Zielperson ein Mann oder eine Frau ist. 

2. Die Perspektive wechseln macht Spaß – und kann beängstigend sein 

Weiter geht’s auf der Probenbühne: Ich spiele die InvestmentbankerIn Janine Huber – ausgestattet mit einer beeindruckenden Hybris. Schließlich habe ich den Fonds entwickelt, er wirft jährlich mehr als 25 Prozent Rendite ab. Und ich habe das siebte Jahr in Folge den „goldenen Bullen“ (oder muss es dann die „goldene Kuh“ sein?) für meine herausragenden Leistungen für die Bank abgeräumt. 

Ich finde erstaunlich gut in die Rolle rein. Und höre mich zu meinem verunsicherten Mitarbeiter Paul diesen Satz sagen: 

„Hör auf zu stottern und sprich mal einen geraden Satz! Du denkst im Ernst, ich hätte einen Fehler gemacht?“ 

Ich spüre das Adrenalin, das offensichtlich gerade die kleine Teufelin aus dem dunklen Verlies tief in den Windungen meines Bewusstseins befreit. Pauls weiteren Versuche, mich zu warnen, quittiere ich mit: 

„Schätzchen, hör auf mit dem Blödsinn. Du siehst super aus und bist total engagiert. Ich mag dich eigentlich. Konzentrier dich jetzt auf die Präsentation, die fertig werden soll. In einer halben Stunde in meinem Büro!“

Kaum schlüpfe ich aus der Rolle wieder raus, denke ich: Krass. Wo kommt das her? Habe ich doch Schauspiel-Talent? Oder bin ich in Ansätzen eine Despotin? Ich fühle mich ein bisschen schlecht, nur ein klein wenig. Kurz darauf kommt in unserer erdachten Szene nämlich meine Kollegin Christina Schneider auf mich zu. Wir tauschen uns über unsere Urlaube, Männer und Kinder aus, klopfen uns auf die Schulter. Sie weist mich auf denselben Fehler hin, ohne zu sagen, dass sie es von Paul weiß. Ich höre ihr zu, danke ihr gönnerinnenhaft für ihre aufmerksame Analyse. Und verabrede mich mit ihr auf ein Bier, bei wir uns Urlaubsfotos anschauen und mal ein bisschen quatschen werden. Von Frau zu Frau. Wir halten schließlich zusammen. 

Takeway für Kreativkonzepte: Rollenspiele wirken Wunder, wir sollten sie häufiger in der Konzeptionsphase anwenden: Der Mensch, dem wir was erzählen wollen, im Austausch mit dem Unternehmen, das etwas erzählen will. Das hilft, die Bedürfnisse und Motive zu verstehen – und verhindert das Abspulen von Corporate Wordings oder Frames. So spricht ja kaum einer im wirklichen Leben. Dann schon eher wie Janine Huber.

Moritz Gottwald, Jenny König, Lukas Turtur, Jule Böwe, Marie Burchard (v.l.n.r.)

Moritz Gottwald, Jenny König, Lukas Turtur, Jule Böwe, Marie Burchard (v.l.n.r.)

3. Keiner ist vorurteilsfrei – ich schon gar nicht

Die Gruppe der Laienschauspieler besteht heute aus dreimal so viel Frauen wie Männern. Vielleicht behagt diese Art der Freizeitbeschäftigung Männern nicht so, vielleicht ist es auch das Thema. Von 20 bis 60plus ist alles vertreten – in beiden Lagern. Eingangs wurden wir gebeten, Klischees zu benennen, mit denen wir selbst schon konfrontiert wurden. Mich überrascht, dass sich heute noch junge Frauen am Anfang ihrer Karriere beklagen, in einer Gruppe von Männern nicht zu Wort zu kommen, nicht gehört zu werden, sich klein zu fühlen – und auch klein zu machen, weil sie so erzogen wurden. Mütter sehen sich in die Latte-Macchiato-Fraktion geschoben, bekommen den Job erst, wenn sie ihr Kinder verschweigen. Kinderlose Frauen werden als egozentrische Karriereweiber abgestempelt. 

Glücklicherweise kenne ich eine ganze Reihe von klugen, reflektierten und kritikfähigen Männern, die Frauen sehr wohl ernst nehmen, ihnen zuhören und sie unterstützen. Und ich habe auch schon Frauen erlebt, die andere Frauen klein halten, systematisch wegbeißen oder plötzlich eine säuselnde Tonlage bekommen, wenn sie mit einem Mann sprechen – selbst im beruflichen Umfeld. Ich fühle mich weder unterdrückt noch benachteiligt, arbeite aber auch schon seit 2003 nicht mehr in Verlagen, in denen Chefredakteure grundsätzlich Männer und gegen die Frauenquote sind – weil es halt „einfach nicht genug gute Frauen für die Position gibt“. Schluss mit dem Bashing: Weniger Stereotypen und Pauschalisierungen, mehr Balance in der öffentlichen Diskussion um Geschlechterrollen, das sollte das Ziel sein. 

Takeway für Kreativkonzepte: Es lohnt sich offen zu bleiben, genau zuzuhören und einen echten Dialog zu führen. Im Theaterworkshop und auch mit den Personae. Der George-Clooney-Typ, die Gwyneth-Paltrow-Yoga-Mami, die Jessica-Chastain-Karrieristin: Wie häufig sind sie uns schon im wirklichen Leben begegnet? Eben. Nicht so oft. Im Bewusstsein unserer eigenen Voreingenommenheit sollten wir unsere Annahmen daher immer auf den Prüfstand stellen. Und an echten Personen testen.  

Mehr Testen ist auch ein guter Vorsatz für den Rest des Jahres. Denn entgegen meiner anfänglichen Vorbehalte war es ein großartiger Workshop, in dem ich viel gelernt habe: Über Hoch- und Niederstatus-Typen, Gestik, Sprache und Verhaltensweisen, an denen die eine oder der andere jeweils zu erkennen sind. Oder andersherum, wie Menschen in ihrer Position, mit ihrem Habitus und ihrer Sprache Macht und Überlegenheit demonstrieren. Über mich selbst habe ich auch einiges gelernt. Als nächstes könnte ich das Singen ausprobieren. 

Einen schönen Weltfrauentag! #IWD2019 #balanceforbetter

Und hier das passende Stück: Status quo an der Schaubühne in Berlin. Nicht verpassen!

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