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Ikigai für Kreative – oder warum machen wir das eigentlich alles?

Ikigai für Kreative – oder warum machen wir das eigentlich alles?

  • Autorin:
    Sepideh Honarbacht

  • Foto:
    Junkan Taeisi/Unsplach


Ikigai ist das, was und alle Stufen des Lebens erklimmen lässt. Jeden Tag. Foto Jukan Tateisi/Unsplash

Ikigai ist das, was und alle Stufen des Lebens erklimmen lässt. Jeden Tag. Foto Jukan Tateisi/Unsplash

Die Jahrhunderte alte japanische Lebensphilosophie hilft uns herauszufinden, ob wir das Richtige tun. Und wenn nicht, wo wir unser Glück suchen sollten.

Ich bin in einer der japanischsten Städte außerhalb Japans aufgewachsen – Düsseldorf. Es leben mehr als 6.500 Japaner dort, eine der größten japanischen Gemeinden Europas. Darüber freue ich mich jedes Mal, wenn ich im japanischen Garten im Nordpark bin, bei meinem Lieblingsjapaner auf der Klosterstraße esse oder die Museumsinsel Hombroich besuche, wo das von Tadao Ando entworfene Gebäude der Langen Foundation steht. Die Liebe der Japaner zu kleinsten Details fasziniert mich: wie sie Speisen inszenieren, wie sie selbst das Etikett eines Kleidungsstückes in ihr ästhetisches Konzept einbeziehen, wie sie Architektur mit größtem Respekt vor der Natur in Landschaften einbetten. 

Also war ich neugierig, als ich von einer japanischen Lebensphilosophie las, die unser nächster Hype sein könnte: Ikigai. Für die Japaner ist es selbstverständlich kein Hype, sondern Haltung. Wörtlich übersetzt bedeutet es „Lebenswert“ (iki für Leben, gai für wert). Unser persönliches Ikigai ist es, was uns antreibt, wofür wir jeden Tag aufstehen, was uns Freude bereitet. Es geht also um nichts Geringeres als um den „Sinn des Lebens“, den jeder für sich anders definieren mag. 

Es gibt einige Ratgeber-Bücher zu Ikigai, ich habe „The little book of Ikigai, The essential Japanese way to finding your purpose in life“ vom Neurowissenschaftler Ken Mogi gelesen (Quercus, 2017). Ikigai soll der Schlüssel sein, zu einem langen, gesunden und erfüllten Leben. Mogi vergleicht Ikigai mit einer Art Bewusstseins- und Verhaltens-Hub, um den herum wir unsere Lebensgewohnheiten und unser Wertesysteme organisieren. Er betrachtet Business und Privates dabei nicht als separate Fälle. Das entspricht ganz meiner Persönlichkeit. Niemand wird über mich sagen: „Privat ist sie ganz anders.“


Jedes Detail zählt. Foto Leio McLaren/Unsplash

Jedes Detail zählt. Foto Leio McLaren/Unsplash

Mogi nennt fünf Säulen des Ikigai, die uns den Weg weisen sollen. Ich habe darüber nachgedacht, was sie für mich im kreativen Prozess bedeuten:

1.    Klein anfangen – klar, macht es auch Spaß, das auf drei Jahre angelegte, strategische Kommunikationskonzept mit integrierter Social Media Kampagne zu ersinnen, das auf allen Kontinenten ausgerollt werden soll. Aber dafür möchte ich den Kunden, seine Zielgruppe, seine Ziele erstmal besser kennenlernen. Gern auch über ein kleines, feines Projekt. Dabei kann man das große Ganze im Blick haben und zugleich bis ins kleinste Detail exzellente handwerkliche Ergebnisse erzielen. Die Japaner haben dafür den Ausdruck Kodawari, eine Art Qualitätsstandard und professionelles Ethos. Kodawari ist per se etwas sehr Persönliches, eine Manifestation dessen, worauf wir stolz sind. Ich bin stolz darauf, dass unsere Print- und Online-Konzepte durchdacht sind, dass wir den kritischen Blick wagen und dass wir ungewöhnlich erzählen – gern mit einem Augenzwinkern. Und wir liefern nichts von der Stange. Es gibt auch in der Kommunikation keine One-fits-all-Lösungen.

2.    Loslassen lernen – oder auch „kill your darlings“. Auf Kreativprozesse bezogen bedeutet das: Die erste Idee ist eben nicht immer die beste. Wir müssen neugierig bleiben und bereit sein, unsere Lieblingsidee zu hinterfragen. Schließlich sind wir nicht freischaffende Künstler. Was wir ersinnen, dient einem Zweck. Diese schöne Geschichte, jenes ästhetische Design gefällt uns. Aber ist es auch das, was die Zielgruppe bewegt? Für die machen wir es schließlich. Also: testen, testen, testen. Und bei Bedarf anpassen, anpassen, anpassen. Was es für Kunden- und sonstige Beziehungen bedeutet, hat eine Kollege und Freund mal so zusammengefasst: Umgib dich mit Energie-Plus-Menschen und halt dich von den anderen fern. Damit meinte er, dass nach jedem Zusammensein, jedem Gespräch eine positive Energie zu spüren sein sollte. Inspiration, Freude, inneres Wachstum. Für alles andere ist meine Zeit zu kostbar.

3.    Harmonie und Nachhaltigkeit leben – bedeutet für mich, Konzepte zu entwickeln, die im Einklang mit den Zielen und Werten unseres Auftraggebers sind UND auch zu unserem Anspruch passen: Wir wollen eben keine Nebelkerzen werfen, sondern journalistisch und (selbst-)kritisch erzählen, informieren und gern auch unterhalten. Bei allem, was wir machen, stellen wir uns die Frage: Wäre ein solches Konzept auch in drei Jahren für unsere Kundin gut? Wie könnte es sich weiterentwickeln? Hat es das Potenzial, Menschen zu bewegen? Bewusstsein zu verändern? Transformation zu fördern? Das sind für mich die spannendsten Projekte.  

Mach was, das bleibt. Foto: Sora Sagano/Unsplash

Mach was, das bleibt. Foto: Sora Sagano/Unsplash

4.    Freude an kleinen Dingen entdecken – es gibt Kreative, die sich nicht besonders gern mit den Details zu beschäftigen. Sie geben lieber die großen Linien vor, die kleinen Striche und Schattierungen sollen dann andere „einfüllen“. Ich bin tatsächlich detailverliebt. Wie gut ein Gesamtkonzept ist, zeigt sich daran, wie gut die einzelnen Bausteine zusammenpassen. Auf eine Microsite oder ein Printprodukt bezogen heißt das zum Beispiel: Wie viel Mühe hat sich das Kreativteam mit Buttons oder den kleinen Texten wie Autorenprofilen, Bildunterschriften, Formaten gegeben? Auch bei Storytelling im Raum – etwa bei Ausstellungen – sind es häufig die kleinen Elemente der Benutzerführung, die einfachen haptischen Erlebnisse, die dem Besucher ein Wow oder ein Lächeln entlocken – und nicht nur die großen Effekte. 

5.    Im Hier und Jetzt sein – Natürlich sollten wir in Beratungssituationen aufmerksam zuhören, was unsere Kundin/unser Kunde uns sagt. Und ihn fragen, was er sich wünscht. Orientierung, Impulse und Rat geben. Gelegentlich müssen wir die Mittel hinterfragen – oder die Aufgabenstellung an sich, weil sie nicht zu Zielen und Zielgruppe passen. 

Im Hier und Jetzt sein, heißt aber auch wach zu sein für gesellschaftliche Entwicklungen. Damit wir uns nicht wie manch ein Politiker wundern, dass das Thema Klima „plötzlich so viel Aufmerksamkeit“ bekommt. Im Hier und Jetzt sein, heißt auch, Moden zu kennen. Ja, richtig gelesen, ich meine Moden. Das ist alles andere als oberflächlich, Moden spiegeln Zeitgeist, wenn man genau hinschaut. 

Die spannendsten Kreateure und Fashion Influencer sind aktuell die, die keinen Stil für die Frauen und Männer kreieren, ihnen keine bestimmte Persönlichkeit verleihen wollen, sondern schlicht Kleidung machen oder tragen, in der sich ihre Träger nach Lust und Laune einfach „wohlfühlen“, „aufbrezeln“ oder auch bewusst „hässlich machen“ können. Das lehrt uns viel über das Selbstbewusstsein unserer Zielgruppen und ihre Launen. Eine Smart Watch gibt uns Hinweise, wie groß die Infohäppchen sind, die Menschen auf die Schnelle verdauen können. Und wie viele Themenstränge sie parallel verfolgen wollen – nicht mehr als drei bis vier. 

Kritisch betrachtet ist Ikigai nichts bahnbrechend Neues. Zunächst klingt es ein bisschen nach dem Achtsamkeitskonzept (Mindfulness) von Jon Kabat-Zinn, das seine Ursprünge in der buddhistischen Lehre hat. Allerdings wirkt Ikigai auf mich sehr viel sinnlicher. Deshalb spricht es mich persönlich mehr an als Mindfulness. Ich weiß, die Verfechter dieser Lehre vergessen gerade kurz, dass sie auf alles wertfrei schauen sollen. Jedenfalls nehme ich die kleinen Freuden jedes einzelnen Tages sehr viel bewusster wahr, seit ich Ken Mogis Buch gelesen habe.

Sinnsuche im Kleeblatt

Eine kleine Fingerübung, für alle, die ihr Ikigai finden wollen: schreibt/malt euch eure Themen in diese Grafik und findet das, was alle Anforderungen nahezu gleichermaßen gut erfüllt (der Sweet Spot im Mittelpunkt in der Grafik). Daran solltet ihr euer Herz und euer Engagement hängen. Es lohnt sich. Marc Winn hat es 2014 entwickelt, viele andere haben es adaptiert.  

Quelle: Marc Winn, adapted

Quelle: Marc Winn, adapted

Und was ist mein Sinn des Lebens? Zu Neudeutsch auch purpose? Ich bin sehr glücklich mit dem, was ich tue. Aber es gibt Momente – wie im Leben jedes kreativ arbeitenden Menschen, in denen ich mich frage: Sollte ich nicht Kinder in Not retten? Oder wenigstens Bäume pflanzen? Kinder und Klima bedeuten mir viel. Aber die Wahrheit ist: ich bin nicht wirklich gut in Entwicklungshilfe und Forstwirtschaft. Und ich könnte davon nicht meinen Lebensunterhalt bestreiten. Also bleiben dies Themen, für die ich mich engagieren kann, sie spielen sogar in manchen Projekten eine Rolle. Ich kann daraus nur keine Profession ableiten. Zurück zu den Fragen, die den Weg weisen. 

Finde heraus, was dich antreibt. Foto Lan Pham/Unsplash

Finde heraus, was dich antreibt. Foto Lan Pham/Unsplash

 

Was liebe ich? Geschichten. Sie müssen schön erzählt sein – sprachlich und visuell. Und ich will gestalten. Meine Geschichten sollen Menschen zum Nachdenken anregen, sie motivieren die Perspektive zu wechseln und Verhaltensweisen zu ändern. Was braucht die Welt?Geschichten – unter anderem, wahre (im Journalismus und der Kommunikation) und ersonnene (in der Belletristik, Film, Kunst und Kultur). Damit wir uns erinnern, woher wir kommen. Damit wir uns vorstellen können, wohin unsere Reise geht. Damit wir lernen und uns weiterentwickeln. Geschichten regen die Phantasie an, sie wecken Emotionen. Und was wäre der Mensch ohne sinnliches Erleben?

 Auch die Antworten zu den beiden anderen Fragen „Worin bin ich gut?“ und „Wofür werde ich bezahlt?“ führen mich wieder zu den GeschichtenMein ganzes Leben dreht sich darum. Im Verlaufe der Jahre verändert sich die Art und Weise des Erzählens, aber was bleibt ist meine Leidenschaft für gute Geschichten. Die teile ich gern mit anderen.

Scheint also, als würde ich Vieles richtig machen. Fragt sich nur noch, ob das an den starken japanischen Einflüssen in meiner Geburtsstadt Düsseldorf liegt. Vielleicht habe ich Ikigai quasi mit Sushi zusammen inhaliert. In diesem Fall gilt: Viel hilft viel. 

Hier spielt die Musik

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Im Club der Teufelinnen

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