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Ein Zeitreisender auf neuen Wegen

Ein Zeitreisender auf neuen Wegen

  • Autorin:
    Sepideh Honarbacht

  • Fotos: Hiroyuki Masuyama

Grass No. 3, 28.04. — 08.07.2020, ©Hiroyuki Masuyama 

Grass No. 3, 28.04. — 08.07.2020, ©Hiroyuki Masuyama

Seit Ausbruch der Pandemie Anfang 2020 müssen viele Menschen und Unternehmen ihre Arbeitsweise überdenken, sich neu erfinden. Von dem japanischen Künstler Hiroyuki Masuyama können wir lernen, mit welcher inneren Haltung Innovation in der Krise gelingen kann.

Zeit und meine Freundin Sabine haben mich zu Hiroyuki Masuyama gebracht. Auf seine Arbeiten wurde ich das erste Mal 2016 in einer Gruppenausstellung des Kunsthauses Mettmann bei Düsseldorf aufmerksam. Auf den ersten Blick dachte ich, dass er Werke alter Meister der Romantik wie Joseph Mallord William Turner oder Caspar David Friedrich einfach in Leuchtkästen setzt.

Dann schaute ich genauer hin und merkte, dass es Details gab, die anders waren. Zum Beispiel ist im Bildvordergrund von Friedrichs „Greifswalder Hafen“ in der Interpretation von Masuyama ein Autoreifen zu sehen. Das Kurfürstenpaar samt Hofstaat aus dem 17. Jahrhundert, das sich Wassergeistern gleich aus dem Fluss auf Turners „Heidelberg“ erhebt, ist sehr jetztzeitig wirkenden Menschen gewichen. 

Ich erfuhr, dass der japanische Künstler an die Orte gereist war, an denen Caspar David Friedrich und William Turner ihre berühmten Werke gemalt hatten. Diese Orte sehen heute ganz anders aus. Trotzdem gibt es Spuren der Vergangenheit. Masuyama machte rund 300 bis 500 Aufnahmen mit der Kamera und setzte am Computer kleinste Bildausschnitte neu zusammen, um die Stimmung der Gemälde nachzuahmen, sie in die Gegenwart zu bringen. Seine Turner-Serie ist auf die gleiche Art entstanden.

Leuchtkästen:Greifswalder Hafen nach Caspar David Friedrich by Hiroyuki Masuyama; Heidelberg nach J.M. William Turner by Hiroyuki Masuyama, ©Hiroyuki Masuyama

Hiroyuki Masuyama lebt und arbeitet seit 1995 in Düsseldorf. Zeit ist sein großes Thema. Mit seinen Arbeiten will er das Nicht-Fassbare sichtbar machen, ihm Raum geben. Und dadurch sich selbst besser kennenlernen. „Mein Äußeres zu sehen ist leicht: Welche Farbe haben meine Haut, meine Haare, meine Augen? Wie ist meine Statur? Dafür brauche ich einen Spiegel. Der hilft mir aber nicht, mein Inneres zu sehen. Dafür brauche ich eine andere Person, die mich reflektiert“, sagt er. Das kann offenbar auch ein Maler sein, der von rund 200 Jahren gelebt und gearbeitet hat – wie Caspar David Friedrich. 

Der japanische Künstler durchlebt einen ähnlichen Schaffensprozess wie Friedrich, der seine Gemälde auf Basis zahlreicher Zeichnungen später im Atelier zusammensetzte. Auch die Maße der Originalmotive von Friedrich und der Leuchtkästen von Masuyama sind nahezu gleich. Die Werke unterscheiden sich in der Entstehungszeit, der Technik und der Person des Künstlers. Während er arbeitet, lauscht Masuyama in sich hinein und versucht sich selbst zu erkennen: Ihn interessiert vor allem, wie sich Orte, Natur und Menschen im Verlauf der Zeit verändern.

Manchmal wirkt die Veränderung auf Beobachter krass: Vor ein paar Wochen machte mich meine Freundin auf die Open-Studio-Tage von Hiroyuki Masuyama aufmerksam und ich besuchte ihn in seinem Düsseldorfer Atelier. Im ersten Moment war ich enttäuscht. Keine alten Meister in Leuchtkästen, sondern Bleistiftzeichnungen an Wänden.

Seit die Pandemie die Welt fest in ihren Fängen hat, musste Masuyama seine Technik überdenken. Er konnte nicht mehr reisen, das Material, das er für seine zum Teil großformatigen Arbeiten benötigt, war nicht lieferbar. In den ersten drei Wochen im März hat er fast rund um die Uhr Nachrichten gehört und YouTube-Videos angesehen. Wie würde sich die Welt verändern? Würde jemals alles wieder so sein, wie es mal war? Was würde das für seine Existenz und die seiner Familie bedeuten? 

Hiroyuki Masuyama in seinem Düsseldorfer Studio ©Sepideh Honarbacht

Hiroyuki Masuyama in seinem Düsseldorfer Studio ©Sepideh Honarbacht

 „Mein Traum ist es, weiter sehr viel mit meinen Händen zu arbeiten. Viele Stunden, Tage, Monate. Und am Ende das Gefühl zu haben, gar nichts getan zu haben. Weil das Ergebnis so selbstverständlich ist wie Luft oder Wasser. Ich muss es nicht erklären. Die Menschen sagen nur: Ah, so ist das also.“

„Es ist so, als würde man zu viel essen. Irgendwann wird einem schlecht. Was man sich zugeführt hat, muss wieder raus“, so Masuyama. Bewusst hat er dann entschieden, nicht mehr so viele Nachrichten zu konsumieren und keine Angst zu haben. „Du bist in Ordnung, Masuyama, habe ich mir selbst gesagt. Es wird wieder gut.“ Und er hat seine „Schatten-Zeichnungen“ angefangen. In seinem Atelier dokumentiert Masuyama mit Blei- und Buntstiften das Werden und Vergehen von Blumen, zum Beispiel Hyazinthen, Tulpen und Amaryllen. Und zwar aus einer ganz besondere Perspektive. 

Schatten-Zeichnungen: Tulips No.1, No.6, No.16; März-Juli 2020; ©Hiroyuki Masuyama

Nachdem ich die Enttäuschung darüber überwunden hatte, dass der Künstler – zumindest für den Moment – mit neuer Technik arbeitet, berührte mich die Poesie des Verfalls auf den Bildern. Sie sind wie Haikus. Weil ihre Botschaft indirekt, wie „durch die Blume vermittelt“ wird. Tulpen zum Beispiel finde ich am schönsten, wenn sie voll erblüht sind, allmählich die Köpfe hängen lassen, die Farbe aus ihnen weicht und sie nach und nach ihre Blütenblätter verlieren. 

Masuyama hat diese Metamorphose beobachtet und an aufeinander folgenden Tagen mit dem Bleistift gezeichnet – nicht anhand der eigentlichen Objekte, sondern anhand einer „Nebensache“, wie er es nennt: Er widmet sich den Schatten der Blumen, die, an die Wand projiziert, zu mysteriösen Welten werden und die Phantasie anregen. 

 Jedenfalls ist der Künstler bei seinem Thema geblieben: die Zeit. Er macht ihre Auswirkungen nur anders sichtbar. Ich bin beeindruckt von Masuyamas Krisenmanagement. Es ist ihm gelungen, im Angesicht des Verlusts von Arbeitsmaterialien und -orten nicht zu verzweifeln, sondern etwas Neues anzufangen – mit den Mitteln, die er zur Verfügung hat, ohne sein Atelier zu verlassen. 

Wenn man sich mit Masuyama eine Weile unterhält, bekommt man selbst das Gefühl, dass alles gut wird. Dass es nur Zeit braucht – und ein paar andere Fähigkeiten, die wir wiederbeleben oder neu entdecken können. Der Japaner strahlt die sprichwörtliche Ruhe und Gelassenheit aus, die man an manchen Asiaten bewundert und schwer beschreiben kann. Veränderungen und Innovation fühlen sich leicht an, natürlich, als müsste es so sein und nicht anders. 

Als wären Masuyama und seine Kunst, die ihn spiegelt, auch so eine Art Pflanze. Er wächst, manchmal auch langsamer, wenn das Klima rau wird. Dennoch bahnen sich Äste und Blätter ihren Weg, wiegen sich im Wind. Solange er genug Nahrung und Ruhe hat. Essen und Schlafen spielen ohnehin eine wichtige Rolle in seinem Leben und unserem Gespräch. „Ich höre auf meinen Körper, der macht alles automatisch. Ich esse, wenn ich Hunger habe, schlafe, wenn ich müde bin, dann habe ich wieder Energie und Lust, zu arbeiten. So einfach ist es.“ 

So einfach kann es vielleicht sein, wenn man ein paar von Masuyamas Leitlinien fürs Leben befolgt. 

„Alles ist Kunst: Theater, Musik, Literatur, Architektur sowieso, aber auch Kochen, Sport, Autoproduktion und Finanzierungssysteme. Wir denken nur immer zuerst an die bildenden Künste. Damit die Kunst im Alltag wieder eine größere Rolle spielt, müssen wir vielleicht ein anderes Wort dafür finden. Das wäre doch eine spannende Aufgabe, oder?“ 

Skulptur “O” – Innenansicht © Hiroyuki Masuyama

Skulptur “O” – Innenansicht © Hiroyuki Masuyama

Das innere Navigationssystem von Hiroyuki Masuyama, der Einzelkind ist und viel mit sich selbst spricht, funktioniert so:  

  1. Höre zu hundert Prozent auf deine innere Stimme. Was wünschst du dir wirklich? Du musst möglichst viel von deinen Wünschen realisieren. 

  2. Lass dir selbst Zeit und genieße das Leben. Es geht nicht darum, mehr Geld zu verdienen und mehr zu besitzen. Das macht dich nicht glücklich. 

  3. 100 Prozent perfekt ist langweilig. 80 bis 90 Prozent reichen für ein Kunstwerk. Bleib locker, sonst wird alles zu hart und unbeweglich.

  4. Du kannst das Schicksal ändern. Indem du mehr auf dich selbst hörst. Der Impuls für die Veränderung kommt häufig von einer anderen Person, einer anderen Kultur oder einem anderen Klima.

  5. Habe keine Angst. Alles ist in Ordnung. Etwas sieht vielleicht aus wie ein Problem und ist tatsächlich eine Möglichkeit. 

  6. Du musst einfach machen, wenn du eine neue Idee hast. Dann bekommst du eine Antwort. Sonst bekommst du nichts. 

  7. Mach etwas anders, wenn du von deiner Arbeit enttäuscht bist. Versuche dich nicht zu wiederholen. 

  8. Du bist Teil eines großen Systems, in dem alle miteinander verbunden sind. Dieses System ist schön. 

Skulptur “O” – Installation in den Deichtorhallen Hamburg, 2011–2012 ©Hiroyuki Masuyama

Skulptur “O” – Installation in den Deichtorhallen Hamburg, 2011–2012 ©Hiroyuki Masuyama

Zwischen den Kulturen

Hiroyuki Masuyama, 1968 in Tsukuba, Japan, geboren, ist Maler, Bildhauer und Fotograf. Er hat an der Hochschule für Bildende Künste und Musik in Tokio studiert. 1995 kam er als DAAD-Stipendiat nach Düsseldorf und besuchte dort vier Jahre lang die Kunstakademie. Für weitere zwei Jahre war er an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Seit 2000 werden seine Arbeiten in verschiedenen Galerien und Museen ausgestellt. Er lebt und arbeitet in Düsseldorf. 

Aktuelle Ausstellungen

GROWING MOUNTAINS MASUYAMA
05.07. bis 08.11.2020
Messner Mountain Museum Firmian
I-39100 Bozen
www.messner-mountain-museum.it

Hiroyuki Masuyama / MINIMA X MAXIMA
19.10.2019 bis 13.09.2020 
Städtische Galerie Offenburg
77654 Offenburg
www.galerie-offenburg.de

Hiroyuki Masuyama / Schatten Zeichnung No.3
25.09.bis 18.10.2020
Freitags, samstags und sonntags, 14:00 – 19:00
Open Studio
Kunst im Hafen e.V.
Reisholzer Werftstr. 77
40589 Düsseldorf
https://www.hiroyukimasuyama.com

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