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Acht Wochen Quarantäne und ein Todesfall

Acht Wochen Quarantäne und ein Todesfall

  • Autor:
    Sepideh Honarbacht

  • Foto: 
    Quinn Buffing/Unsplash


Hinter der Maske

Hinter der Maske

Was ich im ersten Corona Jahr (Anno Coronae, AC) fürs Leben gelernt habe.

Kurz nachdem die Bundesregierung die Corona Beschränkungen verkündet hatte, war ich in Berlin im Volkspark Friedrichshain joggen. Ein sonniger, milder Tag Mitte März, von weitem sah alles normal aus. Es waren viele Menschen unterwegs, wie immer bei gutem Wetter. Dann passierte etwas, was mir bewusst machte, dass sich die Welt gerade dramatisch verändert. Ein paar Meter vor mir nahm ein kleines Mädchen auf ihrem Rad die Kurve zu eng – und stürzte. Gebrüll und Tränen. Reflexhaft lief ich hin, um zu helfen. Die Mutter erreichte ihr Kind fast zeitgleich mit mir: „Bin schon da, danke, danke!“ Sie machte eine abwehrende Bewegung mit den Händen, die mir bedeuten sollte, dass ich dem Kind nicht näherkommen soll. Okeeee, dachte ich. Nicht anfassen. Niemanden. Auch niemanden in Not? Das fühlte sich eigenartig an.

Es folgten drei Wochen, in denen ich keinen meiner liebsten Menschen – Familie und Freunde – von Angesicht zu Angesicht sah. Konzerte und Theaterbesuche wurden abgesagt. Ich konnte nicht ins Museum, keine Galerien besuchen. Friseurtermine und Maniküre – Fehlanzeige. Reisen zwischen Berlin und Düsseldorf – tabu. Nun kann man sagen, das ist Jammern auf sehr hohem Niveau, unseren Nachbarn in Italien und Frankreich ging es sehr viel schlechter und ich musste zumindest nicht homeschoolen... Alles richtig. Nach drei Wochen war meine Quarantäne auch schon vorbei: ich bekam einen Anruf, mein Vater lag im Sterben (es war nicht COVID-19, sondern das Ende eines langen Leidensweges). Ich bin am selben Tag nach Düsseldorf gefahren, um Reiseverbote und Abstandsregeln habe ich mich ab dem 5. April nicht mehr geschert. Natürlich habe ich meinen Vater berührt in den elf Tagen, die wir noch zusammen hatten. Ich saß bei ihm ohne Maske und habe seine Hand gehalten. Und ja, ich habe meine Mutter und meinen Bruder in den Arm genommen.

Es waren acht Wochen im Ausnahmezustand – wegen meines persönlichen Verlusts und auch wegen Corona. Dieser Ausnahmezustand hält immer noch an, wenn auch – pandemisch gesehen – in abgemilderter Form in unseren Breiten. Allerdings müssen wir Corona jetzt auch nicht für alles verantwortlich machen. Die Pandemie hat eigentlich nur den Zustand unserer menschlichen Beziehungen und der Gesellschaft schonungslos demaskiert. Ich habe einige Lehren aus dieser Zeit gezogen und lerne immer noch. Mehr denn je bin ich mir des Wertes menschlicher Beziehungen und alltäglicher Rituale bewusst.

Echte Freunde stehen zusammen – auch in schlechten Zeiten

Viele von uns haben auf den sozialen Medien hunderte Kontakte, einige Tausende. Ihnen gefallen unsere Beiträge, sie senden uns Herzen und Küsse. Das sind natürlich nicht wirklich unsere Freunde. Nur zu sehr wenige Menschen haben wir im Laufe unseres Lebens eine besondere Verbindung, es verknüpft uns ein energetisches Band. Manche spüren selbst in der Ferne, wenn wir in Not sind. Zwei Tage bevor mein Vater friedlich eingeschlafen ist, schrieb mir eine Freundin, die ich schon einige Wochen nicht gesprochen hatte und die nichts von der aktuellen Lage wusste: „Sepideh, ich habe geträumt, dass Dracula dich AUFISST. Er hat dich nicht gebissen, sondern gefressen.“ Sie fühlte, dass etwas nicht stimmte. Mein Ex-Partner, mit dem ich lange nicht viel Zeit verbringen konnte, reiste aus Berlin an, um meinem Vater die Ehre zu erweisen und in den schwierigen Tagen in meiner Nähe zu sein. Ohne dass ich darum gebeten hätte. Es ist klar, dass nicht alle Freunde aus allen Himmelsrichtungen herbeieilen können, selbst wenn sie es wollten. In der globalisierten Welt liegen manchmal Ozeane, tausende Kilometer und neuerdings auch Corona Reisebeschränkungen zwischen uns. Aber es hat gutgetan, zu wissen, dass die Menschen, die mir nahe sind, an mich denken. Fragt euch mal, zu wem ihr Kontakt hattet seit Mitte März, wen ihr gesprochen (wenigstens fernmündlich), gesehen und berührt habt. Im privaten und auch im beruflichen Umfeld. Diese Beziehungen sind kostbar und unersetzlich. Wir müssen sie gut pflegen.

Physische Begegnungen sind existenziell

Ja, ich fand’s toll, mich mit meinen Freunden zum Zoom Dinner zu verabreden und meine Kund*innen zumindest via Skype zu sehen. Wir haben alle viel gelacht über die damit verbundenen Pannen. Mir ist aufgefallen, dass man sich in virtuellen Meeting-Räumen nicht wirklich in die Augen schaut. Alle gucken in irgendeine Ecke: Sie werden sich dessen bewusst, wie sie gesehen werden: Sie platzieren sich in einem möglichst repräsentativen Bildausschnitt – oder wählen den entsprechenden Hintergrund – und zupfen sich ständig die Haare zurecht. Wenn wir das noch ein paar Monate länger so machen, befürchte ich, verlieren manche komplett die Fähigkeit, Blickkontakt zu halten. Kommunikation involviert nun mal auch andere Sinne als Hören und Sehen. Es geht nichts darüber, die Präsenz von Menschen in einem Raum zu spüren. Und jemanden in den Arm zu nehmen oder gar zu küssen, bedeutet angesichts der Pandemie noch viel mehr als zuvor.

Menschen brauchen sinnliche, analoge Erlebnisse

Dankbar war ich auch für Online-Spielpläne der Theater, Wohnzimmerkonzerte, virtuelle Führungen durch Museen und United We Stream, das Angebot vieler Clubs weltweit für Tänzer*innen. Aber nicht nur ich war nach wenigen Wochen dieser digitalen Angebote überdrüssig. Auf Silent Disco mit Kopfhörern lasse ich mich nur ein, wenn ich irgendwann doch im Sanatorium auf dem Zauberberg einziehe. Kunst und Tanz mit anderen Menschen im Raum zu erleben, ist durch die digitale Erfahrung nicht zu ersetzen, nur anzureichern. Selbst Digital Natives haben keinen Nerv mehr auf Holodecks, sie wollen das echte Leben. Deswegen rotten sie sich gern in Parks zusammen, fangen an Vinyl zu sammeln, gedruckte Bücher und Magazine zu kaufen. Wir sind buchstäblich hungrig nach Erlebnissen für alle Sinne, wie sie der Galerist Johann König mit seiner „Messe in St. Agnes“ geschaffen hat. Weil die analoge Art Basel ausfiel, lud er kunstinteressierte in seine Galerie in Kreuzberg ein, mit entsprechendem Hygiene-Konzept. Dazu gab es Kleinigkeiten von einem Berliner Szene-Gastronomen. Lief gut, er wird das im September wieder so machen.

Deadlines sind gut – und verhandelbar

„Das Thema ist heute aufgepoppt. Ich brauche dazu etwas bis morgen Mittag.“ Solche und ähnliche Sätze kennen wir alle. Seit März haben wir sie nicht mehr so häufig gehört. Plötzlich ist nichts mehr so dringlich, dass es nicht 14 Tage oder einen Monat später passieren könnte. Viele meiner Freunde und Kund*innen wurden von Home Office und -Schooling zwangsentschleunigt – zumindest was den professionellen Output anbelangt. Manche sind doppelt und dreifach belastet, weil sie keine Kinderbetreuung haben und sich zuhause um alles kümmern müssen, andere können mit der über Nacht gewonnen Freizeit gar nicht umgehen und werden trübselig. Ich war die ersten drei Wochen gereizt, weil ich mich in meiner Freiheit und Selbstbestimmung beschränkt fühlte. Ja, ich habe ein Problem mit Autoritäten. Dann war ich froh, dass ich – Corona sei Dank – ohne einen Anflug von schlechtem Gewissen Zeit für die Familie hatte. Es gab ein paar Abgaben, die mit Kund*innen besprochen waren und die ich eingehalten habe. Ansonsten habe mich nicht gelangweilt. Habe aber auch gemerkt, dass ich meinen Tag selbst stärker mit wiederkehrenden Ritualen strukturieren muss, um nicht zu sehr zu prokrastinieren. Meine Kund*innen planen mittlerweile neue Projekte, ich arbeite parallel – zum Teil mit Freunden – an eigenen Projekten und als Kuratorin an einem Ausstellungskonzept, das eine Herzensangelegenheit ist. Auch hier gilt: die meisten Deadlines sind nicht von äußeren Umständen, sondern von Menschen gemacht. Sie sind verhandelbar, aber wir brauchen sie. 

Tu, was du liebst. Jetzt.

Auch viele meiner Freunde kümmern sich gerade um ihre Herzensprojekte. Eine hat ihren persönlichen Schwimm-Blog extensiv gepflegt und ihn um sehr schöne lesenswerte Geschichten angereichert ( www.bahnenziehen.de). Andere konzipieren Online-Plattform, schließen sich in neuen Netzwerken zusammen, malen wieder, bauen Gemüse an – oder haben sich Haustiere zugelegt. Richtig so: Wann, wenn nicht jetzt, sollten wir uns sehr genau darüber klar werden, was uns Spaß macht? Und es dann einfach machen. Apropos: Lest auch nochmal meinen Artikel über Ikigai.

Angst bewegt – leider, aber nur kurzfristig

In den letzten Monaten stellen sich viele immer wieder die Frage, warum wir im Fall von Corona auf Experten hören – zumindest hier in Deutschland – und warum das bei der Klimakrise nicht genauso gut funktioniert. Meine These: Sachliche Argumente interessieren die meisten Menschen nicht. Traurig, aber wahr. Es waren die Bilder von Intubierten aus Bologna und Massengräbern in New York, die den Menschen Angst gemacht haben. Sie fürchteten um ihr eigenes Leben. Nur deshalb haben die meisten hierzulande relativ konsequent Kontaktsperren, Abstands- und Hygieneregeln befolgt. Die Klimakrise ist für uns in Deutschland immer noch weiter weg. Sie bedroht nicht unmittelbar unser Leben.

In den letzten Wochen wird aber auch deutlich, wie schnell die furchteinflößenden Bilder ihre Wirkung verlieren. Mallorca wird gerade zum Corona Hotspot – auch dank der feierwütigen deutschen und britischen Touristen. Masken sind für viele mittlerweile im besten Fall ein Accessoires: Sie verdecken das Doppelkinn oder halten die Haare aus der Stirn. Das sind wahrscheinlich dieselben Leute, die sich nicht gegen den Virus impfen lassen würden. So viel zu Gemeinschaftssinn und Fürsorge. Nationalismen, Clan Kulturen und Egoismen erleben gerade ihre Blütezeit.

Hört auf, Geschichten zu erfinden!

Die Buzzwords der Medien- und Kommunikationsbranche – Storytelling und Narrative – haben spätestens seit der Relotius-Affäre beim Spiegel Ende 2018 einen unappetitlichen Beigeschmack. Viele verbinden sie mit im schlimmsten Fall komplett erfundenen, zumindest aber zurechtgebogenen Geschichten, angereichert um erdachte Protagonisten, Effekte und Wendepunkte – sie sollen bestimmte Botschaften platzieren, um kommunikative Ziele zu erreichen. Die Typen mit den Aluhelmen, die rechten Faktenleugner und Demagogen beherrschen die Technik erschreckend gut. Übel ist, dass ausgerechnet Leute, die aus dem Journalismus kommen, solcher Praktiken überführt werden (siehe die Kampagne von Kai Diekmanns Storymachine zur Heinsberg-Studie und die Rüge des PR-Rats). Mehr denn je, sollten verantwortungsvolle Kommunikatoren und Berater sauber recherchieren und erzählen, was sie tatsächlich vorfinden, auch Kritikpunkte benennen und sich davor hüten, zwanghaft „Drehbücher“ zu schreiben, die eine Heldenreise beschreiben. Das bringt einen ganzen Berufsstand in Verruf. Also, Haltung bitte! Selbst wenn ein irre geleiteter Auftraggeber eine schöne Story produziert haben möchte, können und sollten wir Nein sagen.

Schon jetzt steht fest: Die Pandemie wird unser Leben und Miteinander nachhaltig verändern. Nichts wird wieder so sein, wie es war. Und keiner weiß genau, wie das „neue Normal“ aussehen wird. Wer behauptet, es zu wissen, lügt.

Das Gute für mich persönlich ist: Ich habe keine Angst vor Veränderung. Ich brauche sie, weil sie es mir ermöglicht, zu lernen und zu wachsen. Über Annehmlichkeiten, die mir Technologien und Digitalisierung bieten, freue ich mich und begrüße es, wenn sie jedem, jederzeit und überall zugänglich gemacht werden. Allerdings ist mir auch klar geworden, wie sehr ich das Analoge liebe. Habe lange schon nicht mehr so viele Bücher gekauft, die nicht nur gut geschrieben sind, sondern auch toll riechen, schön aussehen und einen Anfang und ein Ende haben (dazu bald mehr an dieser Stelle). Kunst lasse ich vorzugsweise in Räumen auf mich wirken. Obwohl ich kochen kann, esse ich mit Freunden auch wieder in Restaurants, weil es einfach gesellig ist und ein wichtiger Teil unserer Kultur. Außerdem hängen Existenzen daran. Fiebere jetzt schon dem Moment entgegen, in dem mich die dunklen, satten Klänge eines Cellos im Konzertsaal ergreifen und mir Gänsehaut bereiten. Die Menschen, die mir lieb sind, nehme ich weiterhin in den Arm, wenn sie es auch wollen – und bemühe mich, nicht so viele Aerosole dabei abzugeben. Den Reflex einem Kind aufzuhelfen, das hingefallen ist, werde ich auch in Zukunft nicht unterdrücken. Die Eltern müssen also schon schneller zur Stelle sein als ich, wenn sie mich davon abhalten wollen.

Ein Zeitreisender auf neuen Wegen

Ein Zeitreisender auf neuen Wegen

Hier spielt die Musik

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